Vermischtes
Termindruck kontra undercover
Investigativer Journalismus aus der Sicht von Machern
Von Pauline Tillmann
Investigativer Journalismus ist en vogue – das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL hat es auf seine Fahnen geschrieben, die Süddeutsche Zeitung hat dafür ein neues Ressort geschaffen und die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten heben einen „Reporterpool“ nach dem anderen aus der Taufe. Grund genug, um unter Moderation von Hilde Stadler, Leiterin der BJV-Fachgruppe Rundfunk, einen Abend lang über die Erfahrungen von erfahrenen investigativen Reportern zu sprechen.
„Das Wichtigste ist ein gutes Informantennetz“, so der TV-Journalist Klaus Wiendl. Und noch wichtiger sei der Schutz dieser Informanten. Aufbauen könne man sich so ein Netz nur über Jahre hinweg, so Oliver Bendixen, freier Journalist für Hörfunk und TV. Und dabei lohne es sich, mit möglichst vielen Leuten zu sprechen, zum Beispiel bei Demonstrationen. „Hier kann ich mich in Ruhe mit den Polizisten unterhalten und habe das Geschehen trotzdem im Blick.“ Den direkten Kontakt zu den Informanten dürfe man nicht unterschätzen, bestätigt Wiendl, „der Kontakt nur über E-Mail oder Telefon ist nie so Ziel führend wie ein persönliches Gespräch.“ Unabdingbar für solche Recherchen, die kein primäres Ziel haben: neugierig sein, und wachsam. „Schließlich haben alle, die einem was sagen, ein persönliches Interesse,“ stellt Bendixen nüchtern fest, „es wäre blauäugig zu glauben man werde nicht instrumentalisiert.“
Alles Schriftliche aufheben
In Hinblick auf Unterlassungsklagen sagt Wiendl: „Zu Unterlassungsklagen kommt es zwar immer wieder. Aber wir machen, bevor der Fernsehbeitrag gesendet wird, eine juristische Abnahme.“ Außerdem sei das A und O „immer sauber und wasserdicht zu recherchieren“. Schriftverkehr wie EMails und Faxe müsse man sorgfältig aufbewahren, falls es tatsächlich zu einer Gerichtsverhandlung komme. „Manche Kollegen arbeiten auch mit eidesstattlichen Erklärungen“, ergänzt Bendixen. Ein weiterer Tipp: Von außen nach innen recherchieren. Es sei sinnvoll, die Pressestellen und Behörden erst zum Schluss der Recherche mit den Fakten zu konfrontieren. „Sonst werden alle anderen Kanäle schlagartig zugeschüttet und man erfährt gar nichts mehr.“
Bedrohungen sind selten
Auf die Frage, ob die Reporter schon einmal bedroht worden seien, halten sich die Gäste bedeckt. „Griechen und Türken waren einmal unangenehm,“ erinnert sich Bendixen. Aber wenn man nicht im Telefonbuch stehe und sich sein Autokennzeichen für Auskünfte sperren lasse, gebe es keinen Grund zur Panik.
„Ich kenne jedenfalls keinen, dem an der Haustür aufgelauert worden ist.“ Allerdings würden derzeit die Budgets immer knapper und immer mehr Redaktionen verschlankt. Dazu Klaus Wiendl, der 28 Jahre für „Report München“ gearbeitet hat: „Es ist nie am Geld oder am Aufwand gescheitert.“ Ein Problem aber gibt es laut Bendixen doch: „Es fehlt der Nachwuchs.“ Wiendl beklagt, dass es vor allem in kleineren Redaktionen aufgrund des Termindrucks gar nicht mehr möglich sei, in Ruhe zu recherchieren. Dabei hätten an und für sich Festangestellte bessere Möglichkeiten investigativ zu recherchieren als Freie.
Der ARD-Dopingexperte Hajo Seppelt stellte resignierend fest: „Ich glaube, dass der gesamte Sportjournalismus embedded ist.“ Man verschweige bewusst Wahrheiten und mache im Hintergrund PR für die Funktionäre. „Es gibt eine unglaubliche Nähe zu den Athleten und Sponsoren, vor allem bei der Tour de France.“ Seppelt meint, diese Nähe sei für die Berichterstattung völlig kontraproduktiv, weil sich diejenigen, die sich mit dem System anlegen, sofort Schwierigkeiten bekämen. Seine Analyse: „Alles was wir im Fernsehen sehen, ist großflächiger Betrug – ohne es beweisen zu können.“ Die meisten würden nicht absichtlich falsch berichten, aber sie würden doch ahnen, was hinter den Kulissen passiert. Die Parole lautet: „Am besten man redet nicht darüber, dann bleibt das System am Laufen.“ Gerade der Spitzensport bewege sich nach Seppelts Einschätzung auf einer Rasierklinge, also immer an der Grenze zwischen erlaubten und unerlaubten Medikamenten. Bedenklich sei, „dass wir Sportler zu Helden und Vorbildern der Jugend machen, die in Wirklichkeit überhaupt keine sind“.
Sportreporter haben zu wenig Distanz
Die Schwierigkeit in der Dopingberichterstattung sieht Seppelt darin, dass keiner daran interessiert sei, schmutzige Wäsche in der Öffentlichkeit zu waschen.
Er räumt aber auch ein, dass die Dopingdebatte in Deutschland teilweise „überhitzt“ sei und man zu stark in Gut und Böse einteile. „Der Sport eignet sich eben wunderbar dazu, Dramen zu inszenieren. Jüngstes Beispiel: Claudia Pechstein – hier hat man alles was ein gutes Drama braucht, vor allem Emotionen und Tränen.“ Also: perfekt für eine opulente mediale Inszenierung. Seppelt stellt nicht die Sportberichterstattung als solches infrage, sondern kritisiert, dass die Reporter über Sportereignisse nicht distanziert genug berichten und im Unterton ständig mit den Athleten sympathisieren würden. Deshalb fordert er: „Das muss sich ändern.“
Quelle: Auszug aus dem Report des Bayerischen Journalistenverbandes (BJV) Ausgabe 05 /2009 (PDF-Datei)