Dramatische Stunden auf dem Berg - Unterwegs mit der Lawinenrettung
Bayerischer Rundfunk
report MÜNCHEN
Sendung vom 14.03.2005
Dramatische Stunden auf dem Berg -
Unterwegs mit der Lawinenrettung
Autor: Klaus Wiendl
Sonntagmittag: für Roy Knaus und sein Rettungsteam geht es jetzt um Minuten, die über Leben und Tod entscheiden. Vor wenigen Sekunden bekamen sie den Alarmrundruf der Leitzentrale: Lawinenabgang am Schattberg, oberhalb von Saalbach. Unweit davon, in Hinterglemm im Salzburger Land, hat das Team des Rettungshubschraubers „Martin 6“ seinen Stützpunkt. Mit an Bord: immer ein Arzt und ein Flugretter. Unterwegs zum Einsatzort unterhalb des Westgipfels sind drei weitere Hubschrauber, über 50 Bergretter und Lawinenhundestaffeln. Sie alle stoßen auf einen gewaltigen Lawinenkegel, der Abgang ist gut 250 Meter breit und 500 Meter lang. Aus einem kleinen Schneebrett, das ein Vater mit seinen beiden Kindern im ungesicherten Hang losgetreten hat, wurde schnell eine riesige Lawine. Das 14-jährige Mädchen konnte oberhalb der Anrissstelle stehen bleiben, der 48-jährige Familienvater aus dem niederbayerischen Straubing und sein zweites Kind aber wurden mitgerissen. Schnell finden die Suchmannschaften den 13-jährigen Buben und befreien ihn aus den Schneemassen. Gerald Quaritsch, ein Skilehrer aus Hamburg, erzählt:
„Da war dann dieser 12 bis 13-jährige Junge, der steckte so einbetoniert im Schnee, dass wir ihn mit den Händen ausgraben mussten. Wir waren zu dritt. Dann habe ich weiter unten angefangen nach dem Vater von diesem Jungen zu suchen, weil der Junge schrie nach seinem Vater und sagte, mein Papa, mein Papa.“
Doch für seinen Vater kommt jede Hilfe zu spät. Er wird erst nach gut drei Stunden tot in den bis zu zehn Meter hohen Schneemassen entdeckt. Die Kinder werden ins Krankenhaus zur psychologischen Betreuung geflogen. Auch ihre Mutter verunglückte vor wenigen Wochen tödlich. Für Knaus und sein Hubschrauber-Rettungsteam ist dies der bittere Abschluß eines Wochenendes, das sie in Atem hielt: Es war das lawinenreichste dieser Saison. Allein im benachbarten Tirol wurden Hunderte von Abgängen beobachtet. Kein Wunder: die Lawinenwarnstufe war im höchsten Bereich. Doch viele schreckt dies offenbar nicht ab. Sepp Mitterer von der Bergrettung Saalbach-Hinterglemm sagt:
„Die Variantenfahrer, die abseits der Piste skifahren, sie fahren gerne Ski, weil sie viel Spaß haben, aber das Gefahrenbewusstsein fehlt völlig. Sie haben keine Ahnung über die Lawinenwarnstufen, dass man eben bei hohen Gefahrenstufen die Steilheit zurück nehmen muß, dass man eben dementsprechend vorsichtig umgeht. Sie haben auch zum Teil zu wenig Sicherheitsausrüstung mit, die im Ernstfall zwar nicht garantiert, dass man gerettet wird, aber doch die Chancen ein bisschen erhöht.“
Ein leichtsinniger Skifahrer war es am Samstag, der einen Alarm auslöste. Wieder ist das Team von „Martin 6“ gefordert. Eine Lawine oberhalb von Hinterglemm soll einen Skifahrer mitgerissen haben. Der Notruf kam von der Freundin des vermissten Passauers. In Gang kommt eine eingespielte Maschinerie. Als erstes werden Bergretter mit Suchhunden und Sonden zum Unglücksort geflogen, dann folgen zahlreiche Motorschlitten mit Suchmannschaften. Zum Glück ist die Skispur deutlich bis zur Anrisskante der Lawine sichtbar. Dies spart wertvolle Zeit, der Ort der Suche kann somit schneller eingegrenzt werden. Bereits nach wenigen Minuten schlägt der Hund an und gräbt. Der Verschüttete kommt zum Vorschein, er lebt. Der Pilot Roy Knaus erzählt:
„Er war anscheinend einen Meter tief verschüttet. Aber mit dem Kopf nach unten. Hat sogar Licht gesehen, konnte sich aber nicht bewegen. Er hat aber eine gute Atemhöhle gehabt.“
Der Bayer ist nur knapp dem Tod entronnen. Unterkühlt und sichtlich geschockt wird er geborgen. Seine Freundin durchlitt eine gute halbe Stunde, ehe die erlösende Nachricht kam. Entsprechend fiel das Wiedersehen mit dem vermissten Partner aus. Äußerlich scheint er unverletzt. Doch Minuten danach ist dem Geretteten der Schock noch deutlich ins Gesicht geschrieben. Vorsorglich wird das Lawinenopfer zur Beobachtung ins Krankenhaus nach Zell am See geflogen. Dort gibt es dann die endgültige Entwarnung: auch keine inneren Verletzungen. Dennoch ist die Bilanz der bisherigen Skisaison erschütternd: allein in Österreich konnten bisher mindestens 36 Skifahrer nur noch tot geborgen werden. Von den Hunderten von Schwerstverletzten ganz zu schweigen. Ein hoher Preis für einen vermeintlichen Freizeitspaß.