Zu Einbrüchen gezwungen - Bandenchefs erpressen Minderjährige
Bayerischer Rundfunk
report MÜNCHEN
Sendung vom 28.08.2006
Zu Einbrüchen gezwungen -
Bandenchefs erpressen Minderjährige
Autoren: Klaus Wiendl, Oliver Bendixen
Immer wieder Kinder und Jugendliche sind es, die die Polizei in Baden-Württemberg fast täglich aufgreift. Die Kinderbanden kommen meist aus Frankreich nach Deutschland, um entlang der Rheinschiene zu stehlen und einzubrechen, oft mit brutaler Gewalt. Eingeschlagene Scheiben an der Hintertüre, Einbruch tagsüber, typisch für Kinderbanden, sagt die Polizei bei der Spurensicherung. Die Klau-Kids können zwar fliehen, doch weit kommen sie nicht. Am Bahnhof fassen Polizisten die Diebe, sie wollten zurück nach Straßburg. Wieder sind es Drago und Marco, die schon mehrfach gefasst wurden. Doch die Beamten mussten sie stets laufen lassen, die minderjährigen Diebe sind noch nicht strafmündig, und das nutzen die Hintermänner der Kinderbanden.
Volker Fichter, Polizei Kehl, Soko 'Mobile Kinderbanden':
„Wir haben bei den mobilen Kinderbanden einfach die Erscheinung, dass die Kinder erstmals straffällig werden im Alter von acht, neun, zehn Jahren und dass sie dann bis zur Strafmündigkeitsgrenze, die ist bei uns in der Bundesrepublik Deutschland bei 14 Jahren, etwa einen Straftatensockel von bis zu 100 Straftaten aufgebaut haben."
Und sie werden immer jünger. Diese beiden Jungs sind erst acht und elf Jahre alt – und stehen schon im Polizeicomputer. Viele Kinder sind auch gefährlich, sagt die Polizei, sie schlagen sofort zu. Ihr Opfer, ein stattlicher Mann, der drei kleine Diebinnen festhielt.
Volker S., Kinderbanden-Opfer:
„Mehrfache Tritte gegen den Hinterkopf, Haut aus dem Rücken rausgekratzt, richtige Löcher, die Knie waren abgeschürft, eine Bisswunde, sie haben mit Walkman-Kopfhörern geschlagen, ich hatte hier eine riesendicke Augenbraue, das ganze Jochbein ist blau.“
Auf Beutezug werden die Minderjährigen meist zu zweit geschickt - mit einem solchem Schraubenzieher. Ein Kind sichert, das zweite hebelt damit Türen und Fenster auf. Abgesehen haben sie es vor allem auf Bargeld und Schmuck, auf Beute, die leicht am Körper zu verstecken ist. Wertvolle Preziosen, die bei der Polizei noch auf ihre Besitzerinnen warten.
Am helllichten Tag durchwühlten Kinder auch das Haus der Familie Maurer in Konstanz Ein Beispiel für die hundertfachen Einbruchsserien quer durch die Republik. Die kleinen Kriminellen werden von einem Tatort zum nächsten gebracht.
Marita Maurer, Kinderbanden-Geschädigte:
„Schade ist auch, dass wir überhaupt nichts mehr zurückgekriegt haben. Die Sachen waren praktisch sofort ausserhalb von Konstanz gewesen. Anscheinend waren zwei Autos unterwegs. Das eine Auto hat die Buben wieder mitgenommen und das andere Auto die Schmucksachen."
Die Polizei in Kehl will mit der Soko „Mobile Kinderbanden“ das Phänomen eindämmen und an die Hintermänner kommen. Das 12-köpfige Team versucht, Täterzusammenhänge festzustellen. Ein schwieriges Unterfangen, denn die Kinder haben keinen festen Wohnsitz, keine Ausweise und machen falsche Angaben zu ihrer wahren Identität. Doch dass sie aus eigenem Antrieb stehlen, glauben auch die Beamten nicht, wie ihr jüngster Fahndungserfolg bestätigt. Vor dem Landgericht Karlsruhe gesteht dieser 38-jährige Kroate im August, zahlreiche Kinder und Jugendliche zu Wohnungseinbrüchen geschickt zu haben. Selbst an den Rollstuhl gefesselt, ist der Kroate grenzüberschreitend mobil. In Italien erwartet ihn noch eine zehnjährige Haftstrafe. Die deutsche Justiz verurteilt den Angehörigen einer mobilen ethnischen Minderheit wegen schweren Bandendiebstahls nun zu sechs Jahren Gefängnis.
Erwin Hetger, Polizeipräsident Baden-Württemberg:
„Diese gesamte Struktur der Bandenkriminalität, mit der wir es hier zu tun haben, ist ganz bewusst so angelegt, dass man die Grenzsituation nutzen will. Die Hintermänner sitzen in Frankreich, in Straßburg, die Kinder, die diese Straftaten ausüben, begehen diese Delikte hier bei uns in BW und in den Nachbarregionen."
Berühmt berüchtigt ist das Camp Polygone in Straßburg, eines von mehreren Wohnwagensiedlungen in diesem Raum. Von hier sollen sie herkommen, die Kinderbanden. Selbst aus dem Weltraum ist das Camp noch gut auszumachen, doch für die deutschen Ermittler ist es unerreichbar. Sie dürften hier nicht grenzüberschreitend ermitteln und die flexible Zusammenarbeit mit den französischen Kollegen funktioniere nicht sonderlich, bedauern Polizeiverantwortliche gegenüber "report München". Wenn sich das nicht bald ändere, bleibe ihnen nur das ewige Katz- und Mausspiel. Sie würden die Kinder nach Frankreich abschieben, am nächsten Tag stünden sie wieder bei ihnen auf der Matte. Da nütze es nichts, ständig die Kinder festzunehmen, wenn gegen die Bandenchefs in Frankreich nicht vorgegangen werde.
Gleiches berichtet auch die Polizei in München, das von Kinderbanden zur Zeit regelrecht heimgesucht wird. Vor allem Mädchen verübten Einbrüche, überwiegend in Wohnanlagen, so die Ermittlungen des zuständigen Kommissariats. Die Masche ist immer gleich: sie läuten in den obersten Wohnungen Sturm und wenn niemand öffnet, dringen die Täterinnen ein. Im Juni haben sie allerdings Pech, ein beherzter Rentner rennt einer Einbrecherin nach und stellt sie.
Augenzeuge:
„Die Frauen haben auch sofort bei meinem Anblick zu schreien begonnen, eine verschwand im Aufzug, die zweite lief an mir vorbei, die Treppe abwärts. Ich habe sofort die Verfolgung aufgenommen und konnte sie wenige Meter nach dem Haus an ihren Haaren festhalten bis die Polizei kam."
Welch dicker Fisch da ins Netz gegangen ist, stellt die Kripo bald fest. Die Täterin bezeichnet sich selbst als Roma-Frau und komme aus dem Camp Polygone in Straßburg. Für Kommissar Mutz ein weiteres Indiz, dass hinter der Einbruchserie organisierte Strukturen stehen.
Dieter Mutz, Kriminalpolizei München:
„Wir haben 23 Fälle, bei denen Täterinnen gesehen wurden beim Verlassen der Tatanwesen. Und wir rechnen insgesamt mit 200 Straftaten, die wir auf diese Banden zurückführen."
Inzwischen ist es ein europaweites Problem, ob in der Schweiz oder in Österreich. Die Kinderbanden stehen zwar im Polizei-Computer eines jeden Landes, die Daten werden aber nicht ausgetauscht.
Erwin Hetger, Polizeipräsident Baden-Württemberg:
„Wenn konkrete Rechtshilfeersuchen gestellt werden müssen, dauert dies seine Zeit und das bereitet uns immer wieder größere Probleme.“
Erfolgversprechende Ermittlungsansätze würden so verloren gehen, beklagt die Polizei. Leider werde bei Kriminellen grenzüberschreitend nicht mit der gleichen Intensität wie bei mutmaßlichen Islamisten zusammengearbeitet. Warum eigentlich?